Ich habe wahrscheinlich die fünf härtesten Tage meiner Haft hinter mir und sitze, gekleidet in Anstaltsklamotten, in meinem neuen Haftraum auf meiner neuen Station. Ich lausche dem Radio, um die Stille der letzten Tage zu vertreiben.
Angefangen hat alles am letzten Freitag mit einer lauten Explosion während des Mittagsaufschlusses und dem anschließenden Anstaltsalarm.
Ich will es mir gerade mit meiner neuen Star Wars-DVD gemütlich machen, als drei aggressive Blaumänner meine Zelle stürmen, mich mitnehmen und in einen separaten Raum verbringen. Dort soll ich mich entkleiden. Mein Hinweis auf die fehlende Anordnung wird ignoriert (Gefahr im Vollzug oder Verzug, was weiß ich), stattdessen stellt sich dieser Fisch dicht vor mich und schreit: „Ausziehen!“.
Ich lache ihn aus und lasse ihn abblitzen. Wütend stampfend verlässt er den Raum, um mit vier noch böser guckenden Visagen zurückzukommen.
Hektisch werden die Stühle und der dazugehörige Tisch in die Ecke geschoben, um den Ernst ihrer Absicht zu unterstreichen. Aus Sorge um meine Klamotten füge ich mich nun vor doppeltem Publikum. Nackt soll ich eine Kniebeuge machen. Diese Prozedur wird so noch zweimal mit neuen Schließern und in neuen Zellen wiederholt.
Während sie versuchen meine Würde zu nehmen, nehmen andere meine Zelle auseinander.
Wie ich nun weiß, haben sie sich auf der Suche nach Pyrotechnik richtig ausgetobt. Bilder und Postkarten wurden von den Wänden gerissen, Schrankinhalt landete auf dem Boden, Geschirr und Gläser wurden zerbrochen.
Mittlerweile ist auch sicher, dass mich ein überzeugter Almani angeschissen hat. Nazi wäre zu schmeichelhaft für dieses Stück Scheiße! Ich soll einen Böller in die Zentrale geworfen haben.
Nach anderthalb Stunden in einer Arrestzelle empfange ich den Teilanstaltsleiter und seine Entourage. In meinem Haftraum wurden ein Handy und ein Fernseher gefunden und das, obwohl er mir doch erst gestern persönlich eine Disziplinarmaßnahme wegen Handybesitzes eröffnet hat. Diese beinhaltete neben Freizeiteinschluss auch den Entzug meines Fernsehers. Dass ich nun einen Tag später im Besitz eines Handys und Fernsehers bin, beweise, dass ich das Ganze nicht ernst nehmen würde.
– Was für eine Auffassungsgabe –
Das ist sehr dreist und ihm noch nicht untergekommen. Deswegen steckt er mich jetzt für fünf Tage in Arrest. Ob das verhältnismäßig und möglich ist, habe er extra nachgeschaut, beantwortet er meine Frage stolz. Es tue ihm ja leid, er könne da auch nichts machen und ich solle das doch „sportlich“ sehen.
„Es tut ihnen leid? Sie haben die Strafe doch verhängt!?“ Er verteidigt sich lächelnd, achselzuckend.
Kein Wunder, dass er vor Kurzem in der selben Station von einem Bruder einen Aschenbecher ins Gesicht bekommen hat.
Heute weiß ich, dass ein Handy und ein Fernseher ganz sicher kein Grund für eine Arrestmaßnahme sind. In der Regel wird diese härteste Form der Bestrafung nach gewalttätigen Auseinandersetzungen oder Suizidversuchen gewählt. Es ist bezeichnend, dass diese Art der Folter so leichtfertig angewandt wird.
Da sie mir den Böllerwurf nicht nachweisen konnten, ist es logisch, dass sie das Handy und den Fernseher als Vorwand benutzen.
Kurz darauf finde ich mich in einer 12m² großen, nackten Zelle mit einer Pritsche und einem Loch für‘s Geschäft wieder. Einzige Sonderausstattung: Die Fußbodenheizung und die Kameras in den Ecken. Erstere machen den Bunker zur Sauna und Letztere beginne ich sofort mit nassem Klopapier zu verdecken.
Nicht das Einzige, was zu Konflikten führen sollte.
Den ersten Tag versuche ich mein Recht auf Kontakt zu meinem Anwalt und ein Buch durchzusetzen. Telefonieren darf ich nur beim Teilanstaltsleiter und der ist bedauerlicherweise schon weg und als Buch gilt: Nur Bibel oder Koran. Ich entscheide mich für den Koran und bekomme irgendein „Arabisch für Anfänger“.
Die Schikane erstreckt sich über die fünf Tage.
Ich verlange nach meinen verschriebenen Medikamenten und bekomme sie nicht, weil ich mich weigere „Bitte“ zu sagen. In einer Nacht wird das Licht angelassen. Jackpot, wenn ich Zähne putzen darf. Als der Teilanstaltsleiter nach dem Wochenende wieder da ist, darf ich meinen Anwalt nicht anrufen, da er sonst den Raum verlassen müsse. Rechtsgeheimnis und so.. nachdem schon tausendmal meine Anwaltspost geöffnet wurde. Auch mit meiner Versicherung, dass ich niemanden rausschicken werde, bleibt mir mein Rechtsbeistand verwehrt. Letztendlich sorgt meine „Sozialarbeiterin“ dafür, dass ich keine Post erhalte und tut so, als ob sie sich um meinen Anwaltsbesuch bemüht, welcher natürlich nicht stattfindet.
Das Schlimmste ist aber, dass du nicht weißt, wie spät es ist. Und es kommt auf den Schließer an, ob er so gütig ist und auf seine Uhr schaut. Wo immer es geht, lassen sie mich ihre Macht spüren. Irgendwie habe ich die fünf Tage rumgekriegt. Ich wurde mit strengen Auflagen auf einen neuen Flügel verlegt und darf keine privaten Klamotten tragen und nur „das Nötigste“ auf Zelle haben. Heisst: 10 x Unterwäsche, 10 x Fotos oder Postkarten und Essen. Dazu kommt der unterbrochene Freizeiteinschluss und die Fernsehsperre.
Es ist immer wieder unfassbar, dass die machen können, was sie wollen. Abartig, dass Mensch dem so ausgeliefert ist und das, obwohl ich einen Anwalt habe, was bei Wenigen hier der Fall ist.
Gegen eine Disziplinarmaßnahme hat Mensch keine Handhabe. Falls das Gericht nach Monaten feststellen sollte, dass diese zu Unrecht verhängt wurde, hast du auch nichts mehr davon.
Viele Maßnahmen müssen auch gar nicht begründet werden. Beispielsweise das Verlegen auf eine andere Station oder die Nichtaufnahme in Gruppen- und Freizeitangeboten. Da ist dann gerade kein Platz oder aus logistischen Gründen ist die Zelle zu räumen. Beides wird aktiv als Strafe genutzt.
Ich bin froh, dass es bald vorbei ist. Aber ein Teil von mir will diese ganze Scheiße nicht so stehen lassen, sich dem nicht entziehen, meine Freunde und Brüder nicht dort zurücklassen.
Ich wünsche euch allen weiterhin viel Kraft und Momente der Selbstbestimmung und -ermächtigung!
I stand by you! Wallah habbibi!
Besondere Grüße an meine Brüder auf der Isostation, welche diese zu Silvester zerstörten und zum Schwimmbad umfunktioniert haben.
Nero
20.12.2018